Seit 2009 hält er zwei Michelin-Sterne; seine Kochbücher sind Bestseller. Gerhard Wieser gehört zu den erfolgreichsten Köchen des Landes. Im PZ-Interview erzählt der gebürtige Pusterer, welches Essen ihn an die Kindheit erinnert, warum es so wenige Spitzenköchinnen gibt und wie Südtirol eigentlich kocht.

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Gerhard Wieser

PZ: Herr Wieser, Sie haben über 50 Kochbücher geschrieben. Statistisch gesehen müsste in jedem Südtiroler Haushalt eines Ihrer Bücher stehen. Wie überraschend kam der Erfolg für Sie?

Gerhard Wieser: Man ist damals an Heinrich Gasteiger, Helmut Bachmann und mich herangetreten mit dem Auftrag, ein Standardkochbuch zu schreiben und dieses der Zeit anzupassen. Der Grundgedanke war, in „So kocht Südtirol“ unser Wissen zu übermitteln und neben Rezepten auch viel über die Waren und Küchenkunde, Tipps, Organisation und Planung im Allgemeinen festzuhalten. Dass wir damit so erfolgreich sein würden, hätten wir uns nie vorstellen können. Und dann kam ein Buch nach dem anderen, und es ist kein Ende in Sicht. 

 

Es heißt, zu viele Köche verderben den Brei. Gab es bei der Auswahl der Gerichte und Rezepte Meinungsverschiedenheiten?

Wenn es unterschiedliche Auffassungen gab, hat die Mehrheit entschieden. Natürlich brachte zum Beispiel jeder sein Rezept für Spinatknödel mit. Gerade bei Grundrezepten macht es oft der kleine Unterschied aus. Oft haben wir dann aus den drei Rezepten ein neues kreiert, also die Speise noch einmal weiterentwickelt. Ich denke, es ist uns gelungen, die Südtiroler Küche neu zu definieren. Das heißt weniger Butter, mehr italienische Leichtigkeit, eine gesunde, bekömmliche Küche.

 

Profiköche kochen also auch noch nach Rezept?

Ja, sicher. Wobei es für das wirkliche Gelingen Gefühl beim Abschmecken und Würzen braucht. Das kann man nicht wirklich lernen. 

 

Ihre Mutter ist Köchin. Welche Speise schmeckt nach Kindheit?

Da muss ich nicht lange überlegen: Schlutzkrapfen. Die Mama macht sie bis heute von Hand, im Sommer zieht sie im Garten den Spinat. Überhaupt hat es mich sehr geprägt, dass sie so viele Sachen selbst angebaut und dann in der Küche verwertet hat. Immer wenn ich sie zuhause in Rasen besuche, macht sie mir einen Teller Schlutza. 

 

Was ist Ihr Lieblingsessen?

Schlutzkrapfen stehen immer noch hoch im Kurs, vorausgesetzt, sie sind handgemacht. Ansonsten mag ich sehr gerne Spaghetti mit einer frischen Tomate, wenn möglich Datteltomaten, ein paar Tropfen hochwertiges Olivenöl und frisch geschnittenem Basilikum. Einfach und gut.

 

In Südtirol gibt es neben vielen Männern nur eine Spitzenköchin. Warum?

Kochen ist ein anstrengender Beruf, der einem alles abverlangt. Im Grunde ist es sogar mehr als das, eine Berufung. Wenn
man gut werden will, darf man keine Stunden zählen. Es steigen zwar viele Frauen in den Beruf ein, aber sobald die Zeit kommt, eine Familie zu gründen, wird es für sie schwierig. 

 

Wie sieht ein Arbeitstag im Leben von Gerhard Wieser aus?

Ich arbeite seit Jahren im Hotel Castel in Tirol. Der Betrieb ist von März bis November geöffnet. In diesen Monaten verbringe ich die meiste Zeit in der Küche, von früh am Morgen bis spät abends. Unter mir kochen 16 Köche – das heißt, ich muss viel organisieren, einteilen, Rezepte entwickeln. Ich probiere alles, was die Küche verlässt, komme aber selbst oft gar nicht mehr zum Kochen.

 

Und wenn das Hotel geschlossen ist. . . 

. . . dann gönne ich mir vier Monate, in denen ich meine Zeit frei einteilen kann. Ich stehe auf, wann ich will und mache das, was mir Spaß macht. In den Wintermonaten komme ich dazu, die Bücher zu schreiben und auf dem Kronplatz Ski zu fahren. Und dann gibt es natürlich Events, auf denen ich koche, Auftritte im Fernsehen und Radio oder ich werde als Gastkoch in bekannten internationalen Restaurants eingeladen, ganz aktuell zum Beispiel bei Lufthansa First Class für vier Monate.

 

Stellt sich ein Sternekoch zuhause noch an den Herd?

Sehr oft kocht meine Frau. Aber wenn ich die Zeit habe, mache ich es gerne. Oft komme ich gerade dann dazu, ein neues Rezept auszuprobieren. 

 

Und wenn Sie irgendwo eingeladen sind. . . 

. . . dann haben die Gastgeber oft Sorge, dass es mir nicht schmecken könnte. Dabei bin ich völlig unkompliziert (lacht).

 

Sie sind ein Botschafter der hiesigen Küche. Wie kocht denn nun Südtirol?

Als Grenzland haben wir einen riesigen Vorteil. Das Alpine verschmelzt mit dem Mediterranen – in meinen Augen gibt es keine bessere Kombination. Es erstaunt mich immer wieder, wie groß das Interesse am Kochen ist. Dazu haben sicher auch die Kochshows im Fernsehen beigetragen. Die Menschen wollen sich etwas Gutes tun, mit Produkten, die frisch sind und von denen sie wissen, woher sie kommen. 

 

Regionalität ist das große Thema. Wie stehen Sie dazu?

Regionalität hat immer die Priorität, wenn die Qualität passt. In meiner Küche ist es mir zudem wichtig, dass es einen roten Faden, also eine eigene Philosophie durch die Gerichte und Menüs gibt.

 

Was trinken Sie zu einem guten Essen: Wein oder Bier?

Zum Essen trinke ich oft Naturwasser, Kräutertees oder Gemüse-Fruchtsäfte. Alkohol trinke ich selten, wenn überhaupt, dann ein hochwertiges Glas Wein, und das gerne erst nach dem Essen. Kaffee? Gibt es bei mir vielleicht einmal im Monat.

 

Hand aufs Herz: Wie groß ist der Druck für einen Koch, die erlangten Sterne verteidigen zu müssen?

Ich kann nur für mich sprechen: Ja, es ist jedes Jahr aufs Neue eine Herausforderung. Aber es setzt mich nicht unter Druck und bestimmt auch nicht über mein Leben. Ich kann jedem Koch nur ans Herz legen, nicht für die Führer zu kochen, sondern für die Gäste.

Interview: Verena Duregger

 

Zur Person

Gerhard Wieser, Jahrgang 1968, wuchs in Rasen auf. Als Sohn einer Köchin kam er früh mit dem Handwerk in Kontakt und trat schließlich in ihre Fußstapfen. Mit riesigem Erfolg: 2009 erkochte er sich den zweiten Michelinstern (Trenkerstube im Hotel Castel in Tirol), 2014 wurde er von „Der Große Restaurant & Hotel Guide“ zum Koch des Jahres gewählt. Aktuell kochen 16 Köche unter ihm, einige seiner ehemaligen Köche hat er bis zu den Sternen gebracht. Einen Namen machte er sich auch durch seine Kochbücher. Mehr als 50 hat er zusammen mit Heinrich Gasteiger und Helmut Bachmann verfasst. Dazu gehört der Klassiker „So kocht Südtirol“ mit einer Auflage von über einer Million verkaufte Bücher. Wieser lebt mit seiner Familie in Meran. 

www.so-kocht-suedtirol.it

 

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