Das richtige Maß

  

Die Corona-Pandemie hält unser Land fest im Griff. Rom pfeift auf die Autonomie. Arno Kompatscher hat in den vergangenen Wochen dennoch alle Spielräume genutzt und ist zum Teil über die staatlichen Vorgaben hinausgegangen. Ab und zu auf Schlingerpfaden und nicht immer klar im Ausdruck, aber bewusst und mit einem klaren Ziel vor Augen! Rom ließ ihn dabei gewähren. Vielen ging der fordernde Zug von Kompatscher aber längst nicht weit genug und er wurde sogar als „Weichhandel“ abgetan. Ganz im Unterschied zum „jungen und dynamischen“ Philipp Achammer, der in Kurz-Manier seine Kurzbotschaften lanciert und von den Athesia-
Medien mit auffälliger Offenheit in den Vordergrund gerückt wird.  

 

Die Wahrheit ist allerdings, dass sämtliche Vorstöße vom Gouverneur selbst mitgetragen und vor allem unterzeichnet wurden. Das heißt, dass er dafür auch persönlich haftet, wenn etwas schief gehen sollte. Darauf hat zu Recht der Rechtsexperte Karl Zeller im Interview mit der neuen Südtiroler Tageszeitung vom 28.04.2020 hingewiesen. Gerade in besagtem Interview wurden viele Dinge aufgezeigt, die in der Berichterstattung – auch in der offiziellen durch das Landespresseamt – bislang einfach zu kurz kamen. Und wenn man weiß, dass in Italien die bürokratischen und juridischen Mühlen zwar langsam, aber unerbittlich hart mahlen können, ist es wichtig, alle Seiten der Medaille zu kennen. 

 

Aktuell ist ohnehin alles im Fluss und kaum jemand wagt zu sagen, was morgen sein wird. Ich bin der Auffassung, dass der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte – unter Berücksichtigung aller Fakten – bislang einen recht guten Job gemacht hat, aber bei der Lockerung des totalen Stillstandes bislang zu wenig praxisorientiertes Verhalten zulässt. Das ist nicht der richtige Weg. In dieser Hinsicht haben die Kritiker völlig Recht. Allerdings begibt sich Arno Kompatscher in gefährliche Fahrwasser, wenn er wegen der Corona-Pandemie quasi den „Südtiroler Freistaat“ ausruft. Das greift zu kurz. Das klingt zwar gut und wird aufgeschreckte Seelen vorläufig beruhigen, aber lenkt an den eigentlichen Problemen vorbei. 

 

Diese Probleme liegen tiefer: In den Familien, in den Betrieben, bei jedem zu Hause und in der Gesellschaft. Denn die Corona-Krise bringt verschiedene gesellschaftliche Tragödien mit sich bzw. zum Vorschein. Das einsame Sterben ist eine traurige Folge der derzeitigen Situation. Oder jene Frauen, die Tag und Nacht durch die Hölle gehen, weil sie zu Hause ständig verprügelt und gedemütigt werden. Oder die Kinder, die in ihrer seelischen Entwicklung eingeschränkt werden. Oder die Kranken, die nicht mehr richtig umsorgt werden können. Die Liste ließe sich noch fortführen. Wir haben versucht, einige dieser wichtigen gesellschaftlichen Themen behutsam in unserem Titelthema aufzugreifen. Bei der Recherche waren wir mehr als einmal sprachlos! Daher müssen wir alle danach trachten, die Weichen für die Nach-Corona-Ära richtig und unter Berücksichtigung eines gesamtheitlichen Ansatzes zu stellen. 

   

    

Reinhard Weger

 

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