Unzählige Bräuche prägen unseren Jahreslauf. Viel Tradition ist im Rausch der touristischen Entwicklung auf der Strecke geblieben oder zu leerer Attrappe abgesunken. Aber hinter jedem Ritual, jedem Brauch steckt eine lange, geheimnisvolle Geschichte. Margareth Berger hat sich für die PZ auf Spurensuche begeben.

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Hässliche Fratzen - Kräfte der Finsternis

Erzogen wurden die meisten Südtiroler katholisch. Man geht in die Kirche, nimmt an Festen und Bräuchen teil, das gehört sich halt so. Selten fragt man sich, welcher Sinn dahinter steckt. Das Christentum, wie alle Religionen der Weltgeschichte, war nie unpolitisch. Warum hätte man sich sonst die Mühe gemacht, Jesus, den Nazarener, zu kreuzigen? Nach den auf seinen Tod folgenden Phasen der Toleranz und solchen der  Verfolgung kam es im Römischen Reich im vierten Jahrhundert n. Chr. zur sogenannten „konstantinischen Wende“.  Kaiser Konstantin bekehrte sich, zumindest formell, und gewährte Religionsfreiheit. Als genialer Politiker entdeckte und nutzte er das Christentum geschickt als Machtinstrument. Später, unter den fränkischen Kaisern, vor allem den Karolingern, war es aber aus damit. Nicht mit Nächstenliebe, mit Feuer und Schwert zwangen die Herrscher in Übereinstimmung mit den Päpsten die germanischen Stämme, die während der Völkerwanderung den ganzen Kontinent überflutet hatten, in die neue Religion. Blutiger Höhepunkt war die Hinschlachtung von 4.500 ihrem Glauben treu gebliebenen Sachsen an einem einzigen Tag des Jahres 782 n.Chr. unter Karl dem Großen.

Hand in Hand mit dieser meist ungern erwähnten  Art der  „Bekehrung“ gingen die Zerstörung der germanischen Heiligtümer und das Verbot alter Sitten und Bräuche. Weniger auffällig, aber effizienter, war die sanfte Variante: Was Gewalt nicht vermochte, sollten Anpassung und Angleichung bewirken. Hingen die Unterworfenen weiter an ihren Göttern und Riten, integrierte man diese in den christlichen Jahreslauf, machte aus den Göttern einfach Heilige und aus heidnischen christliche Rituale und Feste. So schrecklich die Machtkämpfe zwischen Kaisern und Päpsten Europa verwüsteten, in einem waren sie sich einig: Das Volk hatte zu glauben, was man ihm befahl! So gesehen ist es absolut erstaunlich, dass sich im deutschsprachigen Raum - wie auch in Südtirol - so viele Spuren germanischer Religion und Kultur über die Jahrtausende hinweg halten konnten. 

 

„Grüne Religion“

Die nordischen Völker hatten nach heutigem Verständnis eine „grüne“ Religion, glaubten an geheimnisvolle Kräfte und Geister in allen Erscheinungen der Natur und an den ständigen, sich Jahr für Jahr wiederholenden Kampf zwischen Licht und Finsternis. Vor Kurzem, im November („Nebelmonat“), besuchten wir z.B. Friedhöfe und Gräber. Man hält Allerheiligen und Allerseelen für ausgesprochen christliche Feiertage. Doch für die Germanen war es schon lange vor der Entstehung des Christentums heilige Pflicht, die Toten zu ehren. Sie schmückten die Gräber mit Nüssen und Getreide, riefen die toten Krieger in Walhall an, damit sie den Göttern beim Kampf gegen die Mächte der Finsternis und des Winters (Riesen, Gnome usw.) halfen. Man zündete Lichter an, um den umher irrenden Verstorbenen und guten Geistern den Weg zu beleuchten (man „leuchtete ihnen heim“). Auch die Hölle gab es, das Reich der Hel. Dort kamen aber nicht die Sünder hin, sondern alle, die nicht auf dem Schlachtfeld, der Walstatt, starben. Die tapferen Gefallenen dagegen wurden ehrenvoll zu den Asen nach Walhall geleitet. 

 

Allerheiligen-Hennen und der Nikolaus

Auch das süße Brot der Allerheiligen-Hennen (Symbol der Fruchtbarkeit) und -Rösser (Zeichen von Macht) für die Patenkinder geht weit in die Vorzeit zurück. Man legte, wie auch bei uns in vielen Häusern bis vor wenigen Jahrzehnten, abends für Tote, Elben und Geister Speise oder Trank hin (z. B. das Schälchen Milch, das die Bäuerin vor dem Schlafengehen auf den Herd stellte), damit sie der Familie wohl gesinnt seien. Dazu gehörte an bestimmten Tagen auch süßes Brot in verschiedenen Formen. Irgendwann wurden dann die Patenkinder zu Nutznießern dieser Tradition.  

Anfang Dezember kommt in Südtirol der Nikolaus. Der Bischof von Myra kam erst spät in Mode, der viel ältere Krampus stammt aus germanischer Vorzeit. Er erschrickt heute noch unfolgsame Kinder und ist eine Weiterentwicklung der Perchten, der Geister der Dunkelheit, die nach germanischem Glauben in den Winternächten ihr Unwesen treiben. Auch das Nikolausspiel, das zurzeit wieder aus der Vergessenheit auftaucht, handelte ursprünglich vom Streit zwischen den Naturkräften des Lichts und denen der Dunkelheit. Erst das Christentum verwandelte die Figuren in Gute und Böse, Heilige und Verdammte, Engel und Teufel.   

 

Das Weihnachtsfest

Weihnachten als winterliches Fest kannten die germanischen Stämme ebenfalls lange vor der Geburt Christi. Zur Wintersonnenwende feierte man das Julfest (so heißt es in den skandinavischen Ländern noch heute) als Wiedergeburt der Sonne und Baldurs, des Gottes des Lichts und des Rechts, und zugleich den Tod des Winterriesen. Von diesem Zeitpunkt an nimmt der Tag wieder zu, das Licht – Gott Baldur - kommt zurück. Die  Menschen zündeten Lichter an und hängten grüne Nadelzweige auf, denen man magische Kräfte zuschrieb, um dem Lichtgott zu helfen, die Riesen und Zwerge der Dunkelheit zu besiegen. Die Verlegung des Festes auf den 25. Dezember erfolgte erst im Mittelalter willkürlich. 

Die Rauhnächte (eigentlich „Rauchnächte“) zwischen 25. Dezember und 6. Januar, meist hell und klar, galten bei den Germanen als besonders gefährlich. Da waren tückische Geister unterwegs und spielten Menschen und Tieren üble Streiche. Die Hausherren räucherten Haus und Stall aus, um sich vor ihnen zu schützen. Dieser bei uns bis vor wenigen Jahrzehnten unter christlichem Vorzeichen übliche Brauch ist in den letzten Jahrzehnten aber selten geworden. 

 

Fasnacht und Ostern

Die vorchristliche Natur der Fasnacht dagegen erkennt man leicht. Mit dem lange andauernden Vorfrühlingsfest wollten die germanischen Völker den Winter endgültig vertreiben. Fratzen, Geschrei, Geklapper und Lärm sollten die Dunkelheit verscheuchen,  lustige Figuren zogen umher, hässliche und finstere Verkörperungen des Winters wurden gehänselt und verspottet. Im Laufe der Zeit entwickelte sich diese Zeit zum Inbegriff des Spaßes und der Lebensfreude, mit einer Menge von Ritualen, deren ursprüngliche Bedeutung meist keiner mehr kennt. Immens ist heute noch der Karnevalskult in Deutschland, vor allem im Rheinland. In Südtirol feiert man in Tramin am ausgiebigsten nach altem Zeremoniell. Das Malser Scheibenschlagen ein paar Tage nach dem Aschermittwoch gehört ebenfalls zu den Ausläufern dieser scherzhaften Zeit. 

Ostern bringt den Beginn der hellen Jahreszeit und steht seit jeher im Zeichen der Fruchtbarkeit. Die Feier der Auferstehung der Natur wurde im Christentum zur Feier der Auferstehung Jesu.  Der Name „Ostern“ geht auf Ostara, eine germanische Göttin der Fruchtbarkeit, zurück. Den Osterhasen, eigentlich die Häsin, erschuf Ostara ebenso wie die Vögel. Beide Tierarten legen nach germanischem Glauben rote Eier, Rot ist die göttliche Farbe und Zeichen neuen Lebens. 

 

Die Taufe

Selbst die Taufe war in grauer Vorzeit  üblich. Das neugeborene Kind der Germanen wurde schon in der ersten Lebenswoche ins Wasser getaucht und damit formell in die Sippe aufgenommen. Den Namen verliehen die Germanen ihrem Nachwuchs allerdings viel später. Lange wurde das Kind beobachtet, um  ihm dann einen Namen zu geben, der wirklich zu ihm passte. 

Den Mai dominierten die Liebesgöttin Freya (nach ihr „Freitag“) und der Maibaum, im Pustertal die Kirchtage mit dem Kirchtagmichlbaum. Heute richten sich die Kirchtage nach den Kirchenpatronen und verteilen sich auf die gesamte warme Jahreszeit. Die Rituale sind bei Maibaum und Kirchtagmichlbaum ähnlich. Der feuchtfröhliche Brauch des Aufstellens, des Michl-Stehlens und der Verzehr der Kirchtagskrapfen (in Taufers „Plöder“) erleben in vielen Pusterer Dörfern gerade ein Revival. Ursprünglich saß aber nicht ein einsamer Michl oben auf dem Baumstamm, sondern es waren ihrer zwei, die auf die Leute heruntersahen, Männlein und Weiblein, war doch der Mai immer schon der Monat der Liebe. 

 

Der Kirchtagmichl-Baum

Der feuchtfröhliche Brauch des Aufstellens des Kirchtagmichl-Baumes, des Michl-Stehlens und der Verzehr der Kirchtagskrapfen (in Taufers „Plöder“) erleben in vielen Pustertaler Dörfern gerade ein Revival. Ursprünglich saß aber nicht ein einsamer Michl oben auf dem Baumstamm, sondern es waren ihrer zwei, die auf die Leute heruntersahen, Männlein und Weiblein, war doch der Mai immer schon der Monat der Liebe. //

 

Herzjesufeuer zweckentfremdet?

Im Juni („Bracher“) erreicht die Sonne ihren Höchststand. Zur Sommersonnwende feierten die Germanen ein sage und schreibe zwölf Tage dauerndes Fest. Unsere Herz-Jesu-Feuer Ende Juni waren also keine Neuerfindung, sondern eine Zweckentfremdung eines uralten Brauchs. Noch heute spielt das Sonnwendfeuer im deutschen und nordischen Raum eine zentrale Rolle. Die glühende Flamme steht im Mittelpunkt der Ereignisse, um sie herum legten die alten Germanen Gaben wie Früchte, Stoffe und andere Kostbarkeiten. Feiert man zur Wintersonnenwende die Geburt des Lichts, so freut man sich jetzt über seinen Höchststand, wohl wissend, dass darauf der Niedergang folgen muss. 

Mitte August („Erntning“), am Tag, den die christliche Kirche zum Fest der Himmelfahrt Mariens, dem  Hochunserfrauentag, machte, begann für die nordischen Völker der Herbst. Die Kräuter- und Speisenweihe entspricht der Darbringung von Erntegaben an die Götter der Fruchtbarkeit, vor allem an Odins Gattin, zugleich Göttin des Haushalts und der Fruchtbarkeit. 

Sogar das herbstliche Schmücken der Kühe beim Almabtrieb geht auf die germanische Vergangenheit  zurück. Die verschiedenen Kuhglocken hatten jede ihre eigene Bedeutung, so mancher Bauer kennt sie heute noch. Es wäre interessant zu wissen, ob auch die buttergetränkten Topfnudeln von den Germanen erfunden wurden, zu ihren Festen gehörten jedenfalls kräftiges Zulangen und deftig Gebackenes. 

Langweilige Fernsehabende gab es bei unseren Vorfahren wohl nicht. Man hatte  fantasievollere Götter als Geld, respektierte die Natur, hielt viel von Tapferkeit und ehelicher Treue und liebte gewaltige Gelage. Met und Bier flossen in Strömen, Promillekontrollen hatte man nicht zu befürchten. Nur ein oft überlagerter, nicht als spezifisch germanisch erkennbarer winziger Teil der Kultur unserer Urahnen hat die Jahrtausende überlebt. Diese Reste zu erkennen und zu bewahren wäre aber doch ein faszinierendes Unterfangen.  

Margareth Berger

 

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