Vis comica

Es war zum Brüllen komisch. Vor kurzem gastierte der bekannte österreichische Kabarettist Andreas Vitásekmit seinem Soloprogramm „Sekundenschlaf“ im Stadttheater Bruneck, mit dem er 2014 den österreichischen Kabarettpreis gewonnen hat. Und traf dort ganz unerwartet auf einen alten Studienfreund, den Schweizer Regisseur Hanspeter Horner, der derzeit im Stadttheater die Kultkomödie „Ein Käfig voller Narren“ inszeniert. PZ-Redakteurin Judith Steinmair hat sich mit den beiden eigentlich zu einem Frühstücksinterview getroffen… und sich in einem „kleinen Klassentreffen“ inmitten alter Erinnerungen und Anekdoten wiedergefunden.

Andreas-Vitasek---Foto-Ausschnitt-Sekundenschlaf1---Copyright-Udo-Leitner

Das aktuelle Kabarett-Programm von Andreas Vitásek: Ganz schön schräg!             Udo Leitner

 

Es sind unbestritten zwei schräge Vögel, die den Schabernack im Nacken haben. Andreas Vitásek (59), der in seinem zwölften Soloprogramm auf dem dünnen Eis der Realität zwischen Wirklichkeit und Traum, Gestern und Morgen, Himmel und Hölle, Mann und Frau, Mensch und Tier traumwandelt und Hanspeter Horner (59), der mit einer eigenen Bühnenfassung des Stadttheaters Bruneck der weltberühmten italienisch-französischen Siebzigerjahre-Filmkomödie aus dem Drag-Queen-Milieu  garantiert auf die Lachmuskeln der Zuschauer abzielt. Was die beiden verbindet? Ihre Ausbildung bei Jacques Lecoq Ende der Siebziger Jahre. Die von ihm gegründete École Internationale de Théâtre in Paris (kurz: École Jacques Lecoq) ist seit den Sechziger Jahren eine berühmte Schule für Schauspielschüler aus der ganzen Welt. Im Kern der Schauspielerei geht es nach Lecoqs Auffassung um ein stark körperbetontes Spiel, und seine Methoden sind beeinflusst durch Darstellungsformen wie Akrobatik oder Pantomime. Er sieht die Schauspielkunst als eine Reise, die im Inneren des Schauspielers stattfindet. Und hat seinen Studenten mit seinen Methoden einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt...

 

PZ: Wie sehr hat Euch die Ausbildung bei Jacques Lecoq geprägt?

Hanspeter Horner: Lecoq-Schüler merkt man einfach raus. Auch wenn sie ganz unterschiedliche Sachen machen...

Andreas Vitásek: ... die haben so einen Stallgeruch! Ich profitiere ja auch nach wie vor von der Ausbildung. Wenn ich an einem Programm arbeite und nicht mehr weiterkomme,  versuche ich mich an Lecoq zu erinnern. Wir haben mit der Ausbildung ein Instrument bekommen, mit dem man gut durchs Leben gehen kann.

 

Was sind die zentralen ausbildnerischen Elemente eines guten Theaterschauspielers?

Hanspeter Horner: Die zentrale Erkenntnis bei Lecoq: Es ist nicht die Sprache, das ist nämlich meistens das große Missverständnis, sondern die Bewegung ist der Rhythmus der Sprache -  die kommt dann ganz von alleine. Beim Soloprogramm von Andi kann man das genau erkennen, wie auch andere Dinge, die wir bei Lecoq gelernt haben, den Raum zu erkennen beispielsweise. Der Rhythmus von Andi war super! Er führt das Publikum und nicht umgekehrt!

Andreas Vitásek: Die genaue Beobachtung und die Analyse von Bewegungen war ein wesentlicher Bestandteil von Lecoqs Ausbildung, gerade auch Tierbewegungen. So was prägt... Wie auch die unterschiedlichen Lehrer. Das war auch eine Stärke der Lecoq-Schule, es gab viele zum Teil auch konträre Meinungen, durchaus auch was seine eigenen Methoden betraf. Nicht mit allem konnte man freilich was anfangen, ich erinnere mich an den Feldenkrais Unterricht...

 

Was war das genau?

Hanspeter Horner: Ich bin dabei immer eingeschlafen. Wobei...  als meine Freundin (Anm. der Redaktion: die Tänzerin und Choreografin Yukie Koji) unlängst eine Feldenkrais-Ausbildung gemacht hat und im Zuge dessen mit mir die Übungen durchgegangen ist, war alles wieder da: Der riesige Busen unserer damaligen italienischen Studienkollegin, die vor mir saß, ich hab ihn wirklich vor mir gesehen. Ganz nach Feldenkrais „Du musst nichts machen, die Erinnerung ist da, es ist alles gespeichert“.

Andreas Vitásek: Das ist also Hanspeters Fazit von der Lecoq-Schule: Was ist geblieben? Italienische Titten! Nein, im Ernst: Paris ist unvergessen! Mit zweiundzwanzig Jahren  in Paris, was Schöneres gibt es nicht! Auch wenn das Geld knapp war. Die Frage war immer, entweder Mittagessen oder Kino...

Hanspeter Horner: Gewohnt haben wir in einer Absteige ohne Dusche mit dem Klo am Gang, und wir mussten uns in die Schule rein schleichen, um zu duschen. Lecoq war wirklich berühmt zur damaligen Zeit, aber er war sich glatt nicht zu blöd zu sagen: „Liebe Studentinnen und Studenten, ich möchte sie nochmals darauf hinweisen, dass  sie nur duschen dürfen, wenn sie im Unterricht geschwitzt haben!“ Also musste man so tun als ob...

Andreas Vitásek: Und irgendwie warst du auch ständig überwacht, schon eine Art Psychoterror, wenn du zu gut drauf warst, haben sie dich wieder runtergeholt...

 

Welche Unterschiede zur heutigen Theaterausbildung sind offensichtlich?

Hanspeter Horner: Es war schon ganz anders damals! Wenn du dir heute die Schauspielschulen anschaust, wie die Schüler gepflegt werden... Uns wurde gesagt: „Auf dich wartet niemand!“ Und so ist es ja auch!

Andreas Vitásek: Und zum Glück gab’s unser Stammcafè „Chez Jeanette“, wo man anschreiben konnte, ohne das hätten wir nicht überlebt! Und wenn’s geregnet hat, haben wir den ganzen Tag im Centre George Pompidou abgehangen, das war zur damaligen Zeit erst kürzlich eröffnet worden.

Hanspeter Horner: Und nebenbei hatten wir ja noch beide Freundinnen in Wien und mussten mit dem Nachtzug hin- und herfahren.

Andreas Vitásek: Und wie wir verliebt waren! Im Laufe der Jahre sind in meiner Kollektion dann aber noch einige dazugekommen, ich war da recht international unterwegs... Interessanterweise sind unsere ehemaligen Wiener Freundinnen, die sich ja über uns kennen gelernt haben, aber noch heute befreundet.

Ebenso wie die beiden Studienkollege, auch wenn sich ihre Wege für längere Zeiten nicht gekreuzt und sie unterschiedliche Richtungen eingeschlagen haben. Anderas Vitásek ist neben seinen Erfolgen im Kabarett regelmäßig auf Theaterbühnen als Schauspieler und Regisseur tätig und in zahlreichen Filmproduktionen zu sehen. Seine Rolle in „Müllers Büro“ machte ihn zum Star. Er bereichert das Wiener Kabarett um eine poetische Note, in der seine Ausbildung zum Pantomimen nach wie vor spürbar ist, und zählt mit Josef Hader, Alfred Dorfer und Roland Düringer zu den prägendsten Künstlern seiner Generation. Hanspeter Horner ist Gründungsmitglied und Schauspieler im „Zwischen den Zeilen Theater“ und den „Lufthunden“ und seit Ende der Achtziger Jahre als freischaffender Regisseur tätig, u.a. im Theater in der Josefstadt Wien, bei den Bregenzer Festspielen und am Landestheater Innsbruck. Zudem lehrt er an der Kunstuniversität Graz sowie in Indien und Thailand.

 

Schwebte Euch Eurer späterer beruflicher Lebensweg schon damals bei der Ausbildung in Paris vor? Führt eine „Clownausbildung“ zwangsläufig in Richtung Kabarett?

Andreas Vitásek: Ich wollte nie Kabarettist werden. Ich wusste damals gar nicht, dass es das gab! Ich wollte ja nicht mal lustig sein, ich bin eher vom Lachen überrascht worden. Ich habe was gemacht und es eigentlich ernst gemeint, und alle haben gelacht, was zunächst eine Enttäuschung für mich war. Einer unserer damaligen Lehrer hat meine „komische Kraft“ entdeckt. Er hat immer gesagt ich hätte eine „vis comica“, was ich völlig missverstanden habe! Wie, ich habe ein komisches Gesicht?  Entwickelt hat sich dann alles in Wien. Ich habe mir mit meinem damals sehr pantomimisch angehauchten Programm die Spielstätten mit diesen neuen Kabarettisten, wie Lukas Resetarits oder Erwin Steinhauer,  geteilt. Vorher gab es ja nur Qualtinger und Bronner, und alle gesagt, nach ihnen ist das Kabarett zu Ende. Dann kam die neue Welle, sicherlich auch aufgrund der kulturpolitischen Förderung von Helmut Zilk – ich bin dann irgendwie so rein geschlittert...

Hanspeter Horner: Manchmal arbeite ich auch mit Kabarettisten zusammen. Mit Steinböck und Rudle hatten wir mit „Frank und Stein“ einen Riesenerfolg.  Wir waren einfach sofort auf einer Schiene als wir uns kennengelernt haben, wo wir kreativ total abgefahren sind und haben dann zusammen das Kabarettprogramm erarbeitet.

Andreas Vitásek: Und nach meinem Riesenerfolg mit „Müllers Büro“ hatte ich eine Krise, heute würde man das Burn out nenne, damals hat es die Bezeichnung ja nicht gegeben. Dann habe ich Hoanzel kennengelernt, der auch mit Hader und vielen anderen gearbeitet hatte, und er sagte zu mir: „Machen wir ein Kabarett!“ Und jetzt sind’s mittlerweile zwölf...

Interview: Judith Steinmair

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