Worum geht es im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, in dem bisher nach UN-Angaben mehr als 6.000 Menschen getötet und mehr als 15.000 verletzt wurden, wirklich? Welche Interessen verfolgen die USA und die EU im Osten Europas? Was ist vom russischen Präsidenten Wladimir Putin zu halten? Und werden die Bürger in Ost und West durch die Medien manipuliert? Die PZ hat bei der in Bruneck lebenden Russin Irina Panteley nachgefragt.

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dpa

Irina Panteley wurde in Moskau geboren, ihr Vater ist Ukrainer, ihre Mutter Weißrussin; sie hat jahrelang als Journalistin in Moskau gearbeitet, ehe sie vor zehn Jahren nach Bruneck zog und den Italienischlehrer Lorenzo Milanesi heiratete, mit dem sie zwei Töchter hat. Mit ihrer Heimat ist Irina Panteley aber nach wie vor sehr eng verbunden: Im vergangenen Sommer hielt sich die Familie einen Monat lang in Russland auf, über das aktuelle Geschehen tauscht sich die Russin mit ihren Angehörigen regelmäßig per Telefon und Skype aus. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland, die russische Annexion der Krim, die aktuelle Wirtschaftskrise in beiden Staaten – alle diese Probleme berühren sie sehr.

 

Der Westen mischt mit

Irina Panteley unterrichtet als Russischlehrerin am Oberschulzentrum in Sand in Taufers und gibt auch sonst Russischkurse: „Das Interesse an der russischen Sprache und Kultur ist auch in Südtirol groß. Immer mehr russische Touristen kommen ins Land, Südtiroler Obstbauern exportieren ihre Äpfel und Firmen ihre Produkte nach Russland. Mit den Sanktionen bekommt dieser Austausch einen argen Dämpfer“, bedauert Irina Panteley. Wie kam es dazu? Die Unruhen in der Ukraine schwelen schon seit dem Zerfall der Sowjetunion; obwohl es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine Absprache gab, die NATO nicht bis an die Grenzen der ehemaligen Sowjetunion auszudehnen, tun die USA und die EU nach Ansicht von Irina Panteley seit 1989 alles, um ihren Einfluss in dieser Zone zu vergrößern: „Die Ukraine war dafür besonders anfällig, denn in den westlichen Teilen des Landes leben vor allem Ukrainer, im Osten aber seit jeher mehrheitlich Russen. Die unblutige ‚Revolution in Orange` 2004, die nach groben Wahlfälschungen losgebrochen war, sowie die Proteste auf dem Euromaidan im Februar 2014 wurden wesentlich aus dem Westen gesteuert. Mittlerweile haben in der Ukraine nationalistische Kräfte das Sagen, die mit allen Mitteln Referenden über die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO und in der EU abhalten wollen.“ Für Irina Panteley kann das nicht gut gehen: „Mit dem Zerfall der Sowjetunion hat das Land zwar den Status einer Supermacht eingebüßt, aber Russland ist nicht so schwach, dass es sich vom Westen alles gefallen lassen muss!“

 

Russische Krim

Und was ist mit der Einverleibung der Halbinsel Krim durch Russland? Irina Panteley: „Fakt ist, dass die Krim bis 1954 zur Sowjetunion gehörte. Der damalige Parteichef Nikita Chruschtschow gliederte die Krim aus einer Laune heraus der damaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik an. Im Zuge der Krise in der Ukraine verschlechterte sich die Lage auch auf der Krim, die russische und tatarische Sprache sollten verboten werden. Die Bewohner der Krim haben deshalb ein international nicht anerkanntes Referendum über ihren Status abgehalten, bei dem über 90 Prozent für Russland gestimmt haben. Also hat Russland die Halbinsel wieder in Beschlag genommen.“ 

In den ostukrainischen Regionen Lugansk und Donezk (siehe Karte), in denen mehrheitlich Russen leben und wo es starke pro-russische Bestrebungen gibt, herrscht mittlerweile ein offener Krieg; die Friedensverhandlungen blieben letztlich ohne großen Erfolg. Irina Panteley: „Den USA geht es in diesem Konflikt nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um Macht und wirtschaftliche Interessen. Es gibt Gerüchte, dass in den durch den Krieg entvölkerten Regionen Lugansk und Donezk mit der umstrittenen Fracking-Methode Öl gesucht werden soll. Die stark nationalistische Regierung der Ukraine unter Präsident Poroschenko lässt die Bevölkerung in der Ostukraine völlig verarmen, Löhne und Renten werden nicht mehr ausbezahlt, Kinder und alte Leute verhungern und erfrieren. Viele Familien in der Ostukraine wohnen aus Angst vor Bombardierungen seit Monaten in Luftschutzkellern.“

 

Starker Putin

Allerdings könnte die Kalkulation des Westens in der Ostukraine auch fehlschlagen; Irina Panteley: „Der russische Präsident Putin, den das US-Magazin ‚Forbes` vor kurzem zum mächtigsten Politiker der Welt gekürt hat, ist zwar kein lupenreiner Demokrat, bei der Wahl im Frühjahr 2012 wurde ihm von den eigenen Bürgern Wahlfälschung vorgeworfen. Mittlerweile steht aber fast das ganze Volk wieder hinter seinem Präsidenten. Russlands Annexion der Krim lässt ihn als großrussischen Helden erscheinen. Die Russen akzeptieren es nicht, dass mit ihrem Land so respektlos umgesprungen wird und dass der Rubel-Kurs durch offensichtliche Kurs-Manipulationen innerhalb von wenigen Wochen um 40 Prozent abgewertet wurde.“

Auf Proteste der Bevölkerung gegen ihre eigene Regierung wegen der wirtschaftlichen Einbußen dürfte der Westen vergeblich hoffen, meint die Russin: „Russland hat sich zwar in den vergangenen Jahren zu sehr auf den Öl-Export verlassen und Investitionen in die Industrie versäumt. Putin macht dafür Spekulanten und die Sanktionen des Westens verantwortlich. Dem widersprach jedoch sein eigener Wirtschaftsminister: Das stark von Rohstoffexporten abhängige Russland habe viel zu lange Reformen verschleppt und diesen Sturm selbst verursacht. Aber selbst wenn die russische Wirtschaft in den kommenden Jahren in die Rezession verfällt, ist im Westen Schadenfreude fehl am Platz. Denn in Russland richtet sich der Zorn des Volkes nicht zwangsläufig gegen den Staatschef. Die russische Geschichte kennt dafür viele Beispiele: Der Zar war immer gut, schuld war stets sein unfähiger Hofstaat. Und wenn Putin gestürzt würde, kämen in Moskau die Hardliner ans Ruder. Der Westen sollte nicht darauf hoffen, denn ein Zusammenbruch der russischen Wirtschaft würde viele Nachbarländer mit ins Chaos stürzen.“

 

Humanitäre Katastrophe

Irina Panteley hat trotz allem die Hoffnung nicht verloren: „Russland hat die USA und die europäischen Staaten nie als Feinde gesehen und sucht seit dem Kollaps des Ostblocks die politische, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation mit dem Westen. Aber besonders den USA scheint das nicht ins Konzept zu passen, weil dadurch die eigenen Machtspiele gestört würden. In Russland gibt es heute zwar auch keine wirkliche Meinungsfreiheit und fast keine freie Presse, sodass die Russen nicht erfahren, was wirklich Sache ist. Aber auch im Westen werden die Bürger nicht objektiv über die Lage in der Ukraine und in Russland informiert: Der Krieg in den Regionen Lugansk und Donezk mit seiner humanitären Katastrophe ist praktisch kein Thema mehr, dabei ist er wie eine offene Wunde, die sehr gefährlich für ganz Europa werden kann.“

Der Russin liegt viel daran, dass sich auch die Südtiroler genauer über die Lage im Osten Europas informieren und sich vielleicht auch engagieren - denn die Alternative ist schrecklich: entweder ein neuer Eiserner Vorhang mit einem erneuten Kalten Krieg oder gar ein heißer Krieg...       

hpl

 

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